Diese Biographie wurde für das Schülerprojekt im Rahmen des Jenö-Konrad-Cup 2024 freundlicherweise von Herrn Bernd Siegler zur Verfügung gestellt:
* 18. 6. 1921, Nürnberg
† 14.12. 2006, HaMa’apil, HaSharon (IL)
Kurz vor ihrem elften Geburtstag, am 1. Juni 1932, wurde Gerda Schloss Club-Mitglied bei den Schwimmern, ihre Eltern waren Mitglieder der Tennisabteilung. Am 30. April 1933 strich der 1. FC Nürnberg sie aus der Mitgliederliste und markierte dies auf ihrer Karteikarte mit dem Stempel »30. APR. 1933«. Ihren letzten Mitgliedsbeitrag hatte die Schülerin für April 1933 entrichtet.
Die Pianistin und Komponistin Gerda Schloss wurde am 18. Juni 1921 als älteste von drei Töchtern des Kaufmannes Ludwig Schloss und dessen Ehefrau Dina in Nürnberg geboren. Zusammen mit ihren Schwestern Ruth und Käthe Annemarie wohnte die jüdische Familie in der Rankestraße 68.
Nach eigenen Angaben hatte sie bereits in Nürnberg ihre Liebe zur Musik und insbesondere zum Klavier entdeckt. Sie war hochtalentiert und auf dem Sprung, eine Karriere als Pianistin einzuschlagen. Nach Auseinandersetzungen mit Julius Streicher zog die Familie jedoch am 3. Dezember 1934 nach Stuttgart. Ludwig Schloss schickte seine älteste Tochter Gerda zur zionistischen Jugendbewegung Habonim. Später ging sie zum Hashomer Hatzair, einer linken Kibbuz-Bewegung.
Ende April 1936 fuhr Gerda Schloss über Zürich nach Triest und bestieg das Schiff nach Palästina. Aufgrund von Unruhen konnte sie nicht in Jaffa an Land gehen, sondern in Haifa. Mit dem Zug reiste sie nach Tel Aviv. Gerda Schloss ging in das 1927 gegründete Kinder- und Jugenddorf Ben Shemen und besuchte dort die Landwirtschaftsschule.
»Ben Shemen war damals eine jüdische Insel im arabischen Land. Man konnte die Uhr danach stellen, so regelmäßig wurde abends auf uns geschossen. Die Umstellung von einem wohlbehüteten bürgerlichen Elternhaus zu dieser neuen Realität war natürlich enorm. Doch ich war so überzeugt vom Aufbau eines sozialistischen jüdischen Staates, dass ich keine Schwierigkeiten damit hatte«, so Gerda Schloss.
Ihre Eltern kamen eineinhalb Jahre später mit Ruth nach, sie hatten in Kfar Shmaryahu Land gekauft, da musste auch die älteste Tochter aushelfen. Gerdas Vater wurde Direktor der landwirtschaftlichen Kooperative, dort arbeitete auch die Mutter. »Mein Vater hatte einen Steinway-Flügel gekauft und so bauten sie ihr kleines Häuschen um den Flügel herum. Er spielte uns ganze Opern vor, Mozart, Beethoven und viel Wagner.«
Gerdas erste Klavierstudien waren mit der Emigration beendet. Gerda Schloss hieß nun mit Vornamen »Chaya« und wirkte am Aufbau des Kibbuz HaMa’apil in der Hefer Valley Region in Zentralisrael mit. Sie arbeitete dort 25 Jahre in der Landwirtschaft und heiratete 1943 den Bibliothekar Shlomo Marcus. 1944 kam Tochter Esther zur Welt. 1946 wurde die Ehe geschieden. Sechs Jahre später heiratete Gerda Daniel Arbel, einen Landwirt und Bibliothekar, mit ihm hatte sie drei Kinder: Avital, Naomi und Itai.
In den 1960er-Jahren erkannte Ilona Vincze-Krausz, eine der führenden Klavierlehrerinnen in Israel, Gerdas Talent und ermutigte sie, ihre 1936 abgebrochenen Klavierstudien wiederaufzunehmen. Ilona Vincze-Krausz bestand darauf, dass sie richtig ausgebildet werden müsse. Und so schloss Chaya Arbel alias Gerda Schloss mit dem Kibbuz folgenden Handel: »Ich lehrte Kindern Klavierspielen und dafür bekam ich einen Wochentag frei zur Ausbildung. Morgens um vier Uhr fuhr ich mit dem Milchauto nach Tel Aviv und hatte Klavier- und Harmonie-, sowie Kompositionsunterricht. Am Abend kehrte ich per Anhalter wieder nach Hause zurück.«
Das schlug Wellen, und auch andere Kibuzze fragten bei Gerda an. »Mit 45 Jahren beschloss ich, dass ich mit der Landwirtschaft aufhören müsse, wenn ich es musikalisch zu etwas bringen wollte.« Sie nahm Harmonie-Unterricht an der Samuel Rubin Israel Academy of Music in Tel Aviv (heute: Buchmann-Mehta-Musikhochschule) und studierte bei führenden Pianisten. 1966 gründete und leitete sie die Musikschule für die Menashe Region in Erin Shemer.
Parallel dazu lernte Chaya Arbel weiter Komposition. »Bis dahin hatte ich nur klassische Musik gekannt und fühlte mich zunehmend in einer Sackgasse. Ich hatte das Gefühl, dass alles, was ich schrieb, schon einmal komponiert worden sei. Ich schreibe nun Zwölftonmusik, denn diese Musik öffnete in mir neue Horizonte.« Chaya entwickelte Schönbergs Zwölftonmusik weiter und komponierte expressionistische und avantgardistische Werke.
Chaya Arbel wurde eine der größten modernen Komponistinnen Israels. Sie komponierte 30 Solo- und Kammerstücke sowie fünf symphonische Werke. In Deutschland wurde sie vor allem für ihre Vertonung des Tagebuchs der Anne Frank 1992 für Mezzosopran, Streichquartett und Klavier bekannt.
1994 starb ihr Ehemann und am 14. Dezember 2006 starb Chaya Arbel beziehungsweise Gerda Schloss in HaMa’apil, HaSharon, Israel, im Alter von 85 Jahren. Andere Quellen sprechen von 2007.
Gerdas ein Jahr jüngere Schwester, die Malerin Ruth Schloss, lebte mit ihren Eltern in Kfar Shmaryahu, heiratete 1953 Benjamin Cohen, ging in ein Kibbuz und kehrte nach Kfar Shmaryahu zurück. Dort starb sie am 6. Juli 2013. 2008 hatte sie in der Kunsthalle Nürnberg unter dem Titel Malen – mei ne zweite Muttersprache eine große Retrospektive.
Ihre sechs Jahre jüngere Schwester Käthe Annemarie heiratete 1948 in Deutschland Wolfgang Schmuckler (Schucker, Schmucker) – sie hieß fortan Malka Kate Annemarie Schucker und starb 2008 in Berlin.
Peter Zinke: Flucht nach Palästina – Lebenswege Nürnberger Juden, Nürnberg 2003, S. 241 ff. https://www.br-klassik.de/aktuell/news-kritik/chaya-arbel-pianistin-komponistin-nuernberg-
100-geburtstag-100.html (aufgerufen am 20. 1. 2022); Jewish Women’s Archive: https:// jwa.org/encyclopedia/article/arbel-chaya (aufgerufen am 20. 1. 2022); StadtAN: C 21/X
Quelle:
Siegler, Bernd (2022): Heulen mit den Wölfen. Der 1.FC Nürnberg und der Ausschluss seiner jüdischen Mitglieder. Fürth: starfruit publications